Wenn du in deiner Berliner Wohnung den Hörer abnimmst und sagst: »Zentrum 11760«, so meldet sich nach einigem Zögern der ›Persönliche Stab‹, nämlich des Reichswehrministeriums. Und wenn du dann nach jemand fragst, nach jemand, der doch lange, lange von da fort ist, dann verbindet dich das Telefonfräulein trotzdem, und auf einmal sagt eine kleine, ein bißchen verweinte Damenstimme: »Hier ist Hanna Noske!« Und dann sagst du mit so einer recht vertrauenerweckenden und regierungsfreundlichen Stimme: »Ist Herr Noske zu sprechen?« Und dann sagt Hanna: »Papa ist nicht zu Hause!« Papa wohnt im Reichswehrministerium.
Papa wohnt noch im Reichswehrministerium. Wie das so geht: man kann sich jetzt so schwer Wohnung verschaffen, und da hat wahrscheinlich der abgesetzte Reichswehrminister in der ›Deutschen Tageszeitung‹ nach einer stillen Achtzehnzimmer-Wohnung inseriert, und da hat sich dann das Reichswehrministerium gemeldet. Oder aber er ist, ledig aller Geschäfte, durch die Straßen geschlendert, dabei auch durch die Bendlerstraße, und vor einem netten Gebäude, das ihm ein bißchen bekannt vorkam, stehen geblieben . . . Und da hing ein Zettel ›Hier ist eine Schlafstelle zu vermieten!‹ Und da ging der gute alte Mann hinein und mietete die Schlafstelle. Oder ist es vielleicht ein Ehrenheim, das der deutsche Staat seinem scheidenden Reichswehrminister überwiesen hat? Oder handelt es sich um eine Erinnerungsgabe der vereinigten Schutzhäftlinge Deutschlands, und im Badezimmer hängt ein großer Kranz mit einer Schleife: »Ihrem lieben unvergeßlichen Gustav Noske die Familien Liebknecht, Luxemburg und Landauer«? Wie dem auch sei: Papa wohnt im Reichswehrministerium.
An den Iden des März ist das Deutsche Reich nah dem Zusammenbruch. Verbrecher in Offiziersuniform und ihre Gefolgschaft machen einen Putsch, zu dessen Abwehr sie sechzehn Monate lang erhebliche Gelder bezogen haben; und werfen das deutsche Wirtschaftsleben um Monate zurück. Die bewaffnete Macht des Landes fällt, mit geringen Ausnahmen, um. Fast alle Offiziere trippeln von einem Boden der gegebenen Tatsachen auf den andern. Res venit ad triarios. Die Triarier, die Arbeiter, treten an. Der Kapp-Putsch, diese, wie sie Artur Zickler einmal genannt hat, »Lohnbewegung lichterfelder Kadetten«, bricht zusammen. Eine Untersuchung über die Schuldfrage hebt an.
Dabei stellt sich heraus, daß neben Wolfgang Heine einer der Hauptschuldige ist: Gustav Noske. Er hat sechzehn Monate lang jede Warnung frisch und froh überhört, hat nichts dazu getan, um seinen Untergebenen einen demokratischen Geist einzufiltrieren, hat nichts unternommen, um die ärgsten Reaktionäre aus der Reichswehr heraus und zuverlässige Republikaner hineinzubekommen. Er war mit andern Dingen beschäftigt. Er förderte durch Reptilienfonds und Ordensverleihung brutale Übergriffe größenwahnsinniger Offiziere, er, der Arbeiter und sozialdemokratische Redakteur, rüpelte in großmäuliger Art seine Standesgenossen an und provozierte die kaum zu bändigenden Massen täglich aufs neue. Galt als der starke Mann, während ihn jeder kleine adlige Leutnant um die Finger wickeln konnte. Das prophezeite Malheur bricht herein. Eine der ersten Forderungen der Gewerkschaften ist: der Rücktritt Noskes. Darüber wird gar nicht diskutiert: die große Mehrheit des politisch denkenden Volkes empfindet ihn als den Hauptschuldigen, gestritten wird nur noch, ob er fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat . . . Er muß gehen.
Nun ist eines in Deutschland ganz merkwürdig: kein Politiker verschwindet hier. Sie sind immer alle noch da. Einer begeht die schwersten Fehler, man hat seine liebe Not, den Mann von seinem Posten zu entfernen, schließlich rutscht er ab . . . aber keiner denkt daran, ihm ein Vertrauen zu entziehen, das er doch gar nicht mehr verdient. Ludendorff jagt ein Volk ins Unglück, flieht und darf hinterher durch Memoiren fast so viel Geld verdienen, wie er uns gekostet hat. Noske beschwört durch Kurzstirnigkeit und Eigensinn eine deutsche Katastrophe herauf, soll davongejagt werden, und ob er nun schon bei den amerikanischen Zeitungen sein Geld verdient, weiß ich nicht, aber das wird ja noch kommen. Viel schlimmer ist, daß man ihn nicht davongejagt hat: daß er weiter wirkt.
Das Reichswehrministerium wird ja nun erklären, der Zusammenhang zwischen ihm und Noske sei rein lokal, und weil ich keine Ordonnanzen bestechen mag, müssen wir das zunächst noch glauben. Wahrscheinlich scheint mirs nicht. Er und es liegt viel zu nah, als daß man nicht bei Gelegenheit seinen ›bewährten‹ Rat einholen sollte; daß und wie er ihn erteilen wird, ist klar. Nein? Dann hat der Mann mit seiner Familie in einem staatlichen Gebäude ganz und gar nichts mehr zu suchen und muß exmittiert werden. Er muß aber nicht nur aus der Wohnung heraus.
Gustav Noske muß aus dem öffentlichen politischen Leben verschwinden. Die Mehrheitssozialdemokratie hat den schweren Fehler begangen, dem machtlosen Mann in der Bendlerstraße ein Vertrauensvotum nach dem andern auszustellen, als das Mißtrauen der Partei noch das Schlimmste hätte verhüten können. Daß sie ihn heute noch deckt, ist nicht anständig, sondern dumm.
Ihn in dieser Form zu decken, ist aber auch unerlaubt. Die parlamentarische Mehrheit der gesetzgebenden Gewalt hat sich gegen sein Bleiben entschieden, vielleicht entscheiden müssen: er muß fort. Was ist das für ein Parlamentarismus, der legale Beschlüsse nur in Extra-Ausgaben der Zeitungen durchführt und auf dem berüchtigten Verwaltungswege das wieder rückgängig macht, was die Meinung des Volkes eben erst durchgesetzt hat.
Noske ist intellektuell mitschuldig an dem Verderben, das über Tausende von politischen Schutzhäftlingen und die hereingebrochen ist, die Oberkriegsgerichtsräte ›Verbrecher‹ nennen. Er ist hauptschuldig am Kapp-Putsch und seinen Folgen. Er darf nach wie vor mit seinen Parteigenossen in den Kommissionen tagen, und schon hört man davon, daß er Oberpräsident einer Provinz werden soll. Gute Verrichtung!
Wohin treiben wir? Sollen alle abgesägten Staatsmänner auf diese Weise den Deutschen erhalten bleiben? Wo wohnt Traugott von Jagow? In welchem Schloß ist Bethmann einquartiert? Welche Segel-Jacht bekommt Bredereck? Wenn das so fortgeht, werden wir nach dem Gesetz von der Erhaltung der Materie überhaupt keinen mehr los. Ich bin doch aber dafür, daß wir wenigstens diesen da los werden.
Ihr habt keine Wohnung? Dann braucht ihr in Deutschland nur Minister zu werden, und ihr habt ein domicilium perpetuum. Der Doktor Geßler wird das Mieteinigungsamt anrufen, das wird die Achseln zucken, weil man jetzt keinen auf die Straße setzen darf, und Noskes werden in der Bendlerstraße auch weiterhin ihren Kohl kochen.
Noske ist zur Zeit Minister z. b. V.: zur besondern Verwendung. Es ist eine ungemütliche Situation für die Familie, sie packt aus, sie packt ein, packt aus, packt ein . . . je nach dem, wie der Wetterhahn auf dem Dache steht. Und wenn ihr weiterhin so ruhig zuseht, wie euch die mühsam abgerungenen Zugeständnisse der Regierung hintenherum wieder zunichte gemacht werden, so wird diesem Unabkömmlichen nur einer wirklich kündigen: der Kapp des nächsten Putsches.
Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky), in: Die Weltbühne, 06.05.1920, Nr. 19, S. 529.
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Thema: Kapp-Putsch
(06. 05. 1920)
Schlagwort: Noske |