Mein Thema legt an sich nahe, daß ich zuerst eine Darstellung der Märzrevolution, wie sie gewesen ist, und dann ihre historische Verarbeitung nachzeichne. Jedoch nicht nur weil das etwas platt wäre, möchte ich anders vorgehen. Es ist nämlich so, daß man die Märzrevolution und ihre Verarbeitung zeitlich gar nicht strikt voneinander trennen kann, vielmehr ist der Ablauf der Bewegung durch und durch bestimmt von subjektiven Verarbeitungsmustem, und diese sind es, die die spätere Erinnerung an die Bewegung vorstrukturieren. Ich baue meinen Beitrag deshalb so auf, daß ich das Ganze in 10 Teilkomplexe auflöse und in jedem dieser Teilkomplexe die Verschränkung von Geschehen und subjektiven Handlungs und Wahmehmungsmustem aufzuzeigen versuche.
l. Die Bedeutung des Militärputsches
Der Militärputsch vom 13. März 1920 war eine lebensgefährliche Bedrohung für die junge Weimarer Republik. Der politische Kopf der Putschisten, der rechtsradikale Politiker Woifgang Kapp, hatte ein Programm, das auf eine Kanzlerdiktatur, die Entmachtung der Parteien und den Einbau aller Verbände einschließlich der Gewerkschaften in einen autoritären Korporativstaat hinauslief. Das Unternehmen einmal in Gang gesetzt, konnten die Putschisten hoffen, daß die Dynamik von Putsch und Bürgerkrieg das Militär in die politische Schlüsselposition bringen würde. Wenn sie gesiegt hätten, wäre ein politisches System nach Art von FrancoSpanien die Folge gewesen, natürlich mit einigen Unterschieden, die ich hier nicht schildern kann. Dagegen steht die Meinung, und so ist es oft dargestellt worden, daß der Militärputsch von 1920 nicht emst zu nehmen gewesen sei, daß es sich um ein operettenhaftes Unternehmen gehandelt habe, das von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sei.
Nun ist zugegeben, daß der Militärputsch von 1920 dilettantisch inszeniert war; seitdem ist auf der ganzen Welt von den Planem von Militärputschen ungeheuer viel dazugelernt worden. Aber das darf nicht dazu führen, die Bedeutung des Putsches von 1920 herunterzuspielen. Schon daß der Putsch überhaupt inszeniert werden konnte, war eine ungeheure Katastrophe für die politischen Kräfte, die die junge Weimarer Republik aufgebaut hatten. Man betrachte nur eimnal den Zeitpunkt; knapp l 1/2Jahre nach dem Sturz des Kaiserreichs und dem Sieg der Revolution vom November 1918! In dieser kurzen Zeit hatten die drei Parteien, die die Regierungskoalition bildeten und die Weimarer Verfassung ausgearbeitet hatten, nämlich die SPD, das Zentrum und die linksliberale DDP, einen rapiden Vertrauensverlust erlitten. Im Moment des Militärputsches konnten sie sich auf keine relevante gesellschaftliche Gruppe mehr zuverlässig stützen. Die Wahlergebnisse untermauern diese Behauptung. Anfang 1919, bei der Wahl zur Nationalversammlung, hatten die drei Parteien über 2/3 der Stimmen erhalten; bei der Reichstagswahl nach dem Militärputsch erhielten sie zusammen weniger als die Hälfte. Besonders katastrophal war der Einbruch bei der SPD: ihr Stimmenanteil wurde nahezu halbiert.
Femer muß festgestellt werden, daß die Putschisten keineswegs auf der ganzen Linie geschlagen wurden. Das Kalkül, daß die Dynamik von Putsch und Bürgerkrieg das Militär in die politische Schlüsselposition bringen würde, ist durchaus aufgegangen. Gerade im rheinischwestfälischen Industriegebiet, wo die bewaffneten Auseinandersetzungen weitergingen, längst nachdem Kapp in Berlin kapituliert hatte, und wo schließlich das Militär wochenlang bestimmte, was geschah, kann man das studieren.
Wenn trotzdem die Bedeutung des Militärputsches heruntergespielt wird, so ist das eine interessierte Sicht der Dinge, die man bis in die Ereignisse von 1920 zurückverfolgen kann. Der Militärputsch in Berlin hielt sich fünf Tage, dann brach er vor den Kräften des Widerstands zusammen. Bald darauf kehrte die geflohene Reichsregierung von Stuttgart nach Berlin zurück. In verschiedenen Regionen des Reichs jedoch gingen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Militär und Arbeiterschaft weiter, am heftigsten im rheinischwestfälischen Industriegebiet. Die Reichsregierung entsandte zwei Spitzenpolitiker, Carl Severing (SPD) und Johann Giesberts (Zentrum). In Bielefeld kam es zu Verhandlungen mit Vertretern der aufständischen Arbeiter. Diese verlangten Konsequenzen aus dem Militärputsch und gesellschaftspolitische Veränderungen, die die katastrophale Fehlentwicklung korrigieren sollten. Um diese Forderungen abzuwehren, spielten Severing und Giesbens den Militärputsch mit allen Kräften herunter; sie sprachen von einer Köpenickiade, und man weiß ja, der Hauptmann von Köpenick kann nur die Figur eines Lustspiels abgeben.
2. Der Generalstreik
Der Generalstreik, der mit ungeheurer Wucht gegen den Militärputsch einsetzte, war der einzige politische Generalstreik in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, der diesen Namen verdient. Er ist ein Markstein in der demokratischen Tradition Deutschlands. Aber auch hier muß man sich vor Illusionen und Mythen hüten. Vor allem eine Partei ist es, die keine historische Berechtigung hat, sich den Generalstreik von 1920 als Ruhmestitel anzuheften: die SPD. Sie tut das bis heute und beruft sich dafür auf folgenden Aufruf:
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»Arbeiter, Genossen! Wendet jedes Mittel an, um die Wiederkehr der blutigen Reaktion zu vernichten. Streikt, schneidet dieser Militärdiktatur die Luft ab, kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik, laßt alle Spaltung beiseite! Es gibt nur ein Mittel gegen die Rückkehr Wilhelms II.: die Lahmlegung jedes Wirtschaftslebens! Proletarier, vereinigt euch!«
Dieser Text mit seiner Anlehnung an das Kommunistische Manifest war unterzeichnet von den SPDMinistem der Reichsregierung und von Otto Wels namens des SPDParteivorstandes. Nun ist zunächst mehr als zweifelhaft, ob die Minister diesen Text überhaupt verfaßt und unterzeichnet haben, bevor sie sich in die Autos setzten, um vor den Putschisten aus Berlin zu fliehen. Vermutlich stammt der Text aus der Feder des Pressechefs der Reichskanzlei. Vor allem aberhaben die SPDMinister sich wiederholt öffentlich von ihm distanziert.
Als sie aus Berlin zunächst nach Dresden, dann von Dresden weiter nach Stuttgart flohen, wurden sie von Generälen, die den Generalstreik bekämpften, wegen dieses Textes zur Rede gestellt. Dasselbe geschah dann telephonisch von General v. Watter in Münster, der für das rheinischwestfälische Industriegebiet zuständig war. Jedesmal haben die SPDMinister, voran Reichswehrminister Noske, beteuert, sie hätten mit diesem Aufruf nichts zu tun und mißbilligten den Inhalt. Diese Konfrontation und die weitere Erfahrung von 1920, daß ein Generalstreik, einmal in Gang gesetzt, eine radikalisierende Eigendynamik entfaltete, fuhr dann der SPD- Führung für alle Zeiten in die Knochen. Das war einer der Gründe, weshalb sie im Prozeß des Untergangs der Machen wir uns klar, was das heißt: totale Arbeitsniederlegung und Stillstand aller Produktion und Zirkulation gegen putschendes Militär, das eine vorzügliche Verpflegung erhielt.
Es gab Militärs, die diese Situation wie ein Experiment erlebten, wobei wir noch einmal bedenken müssen, daß es damals noch kaum historische Erfahrungen mit Militärputschen gab. Ein Offizier der Marinebrigade Ehrhardt, der Kemtruppe der Putschisten in Berlin, schrieb ein Jahr später:
»Vielleicht war es ganz gut, diesem schwarzen Mann, mit dem immer graulich gemacht wurde, einmal hinter die Maske zu sehen. Der Generalstreik hat zur Folge, daß neben Unbequemlichkeiten für einzelne die Lebenshaltung jedes Staatsbürgers plötzlich und stark heruntergeschraubt wird…um so fühlbarer wird die Wirkung, je weniger Vorräte und Geld eine Familie hat. Dabei schneiden die Proletarier am schlechtesten ab… Den Soldaten konnte es … einerlei sein, ob die Menschen in den großen Städten, die keine Weckgläser und nicht viel Geld hatten, zu essen bekamen oder nicht.«
Zum Kalkül der Putschisten gehörte, die Industriearbeiterschaft von den agrarischen Regionen aus notfalls auszuhungern.
Es gab Arbeiterführer, die die begrenzte Reichweite des Generalstreiks erkannten und das Kalkül der Putschisten erahnten. Hagen war eine der wenigen Großstädte, die zum Zeitpunkt des Putsches ohne militärische Besatzung waren, was General v. Watter in Münster dann schleunigst zu korrigieren versuchte. Hier forderte am Nachmittag des Putschtages ein USPD-Führer in einer Konferenz, man müsse den bewaffneten Widerstand organisieren, und er begründete dies damit, daß »ein Generalstreik auf lange Frist unmöglich ist und letzten Endes doch zum Siege der Reaktion führen muß.«
Für diese Auffassung fandereine Mehrheit ein Ausgangspunkt für den Aufstand im Industriegebiet. Andernorts waren die Parteifunktionäre vielfach bedenklich und zögernd. Aber entscheidend war das Handeln der Arbeiter. Landauf, landab ertönte ein einziger Ruf nach Waffen als Antwort auf die Nachricht vom Putsch in Berlin. Waffenlager wurden ausgehoben,. Bürgerwehren, Kriegervereine usw. entwaffnet, mit den ersten Waffen traten die Arbeiter dem Militär entgegen, nicht nur im rheinischwestfälischen Industriegebiet, sondern auch in Mitteldeutschland um Halle und Merseburg, in Teilen von Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern.
von: Erhardt Lucas –
Erster Teil eines Aufsatzes von 1990, erschienen in „Schwarzer Faden“
Thema: Kapp-Putsch
(20. 04. 1920)