Die grösste Aufstandsbewegung seit den Bauerkriegen

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13. März 1920

Das Ereignis, das von Historikern heute als „größte Aufstandsbewegung, die es in Deutschland seit den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts gegeben hat“, gewertet wird, flackerte auf unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, erreichte seinen Höhepunkt in der Abwehr des Kapp-Putsches und brach in den Ostertagen des Jahres 1920 zusammen. Eine gerechte Bewertung in den Geschichtsbüchern steht bis heute aus.

Ruhrkampf – bei diesem Stichwort denken die Deutschen wohl immer noch zuallererst an das Jahr 1923, an die galoppierende Inflation, an den Einmarsch französischer Truppen in das Ruhrgebiet, zur Erzwingung pünktlicher Reparationsleistungen, an passiven Widerstand und vereinzelte Sabotageakte nationalistischer Gruppen, womöglich auch an Albert Leo Schlageter, den Freikorpsmann, den die Franzosen füsilierten und die Nazis später zum Volkshelden stempelten.

Dagegen ist die Erinnerung an den Ruhrkrieg in den Wochen des März und April 1920, den Höhepunkt der Abwehrbewegung gegen den Kapp-Putsch verblaßt. Die Schulbücher, die ja eine Art Gradmesser für unseren Umgang mit der Vergangenheit sind, werten ihn überwiegend als Aufstand der Kommunisten, der nur durch den entschlossenen Einsatz der Reichswehr niedergerungen werden konnte. Hier und da mögen zudem Bilder lebendig sein, die die Auseinandersetzungen begleiteten, Bilder vom Terror der „Roten“, von Gefangenenmißhandlungen und Plünderungen, weniger vom Einsatz der Regierungstruppen und vom Gegenterror der Freikorps, obwohl dieser bei weitem die meisten Opfer forderte. Reichswehr und Sicherheitspolizei meldeten 250 Tote und 123 Vermißte. Die Zahl der gefallenen, standrechtlich oder „“auf der Flucht““ erschossenen Arbeiter ist nie exakt errechnet worden.

Nach vorsichtigen Schätzungen belief sie sich auf mindestens 1000. Einen plastischen Eindruck von der Brutalität, mit der die Freikorps vorgingen, vermitteln Auszüge aus dem Brief eines studentischen Freiwilligen an das Pflegepersonal und die Kameraden eines Lazaretts, aus dem er kurz zuvor an die Front entlassen worden war:

„Gestern . . . nachmittag um ein Uhr machten wir den ersten Sturm. Wenn ich Euch alles schreiben würde, dann würdet Ihr sagen, das sind Lügen. Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch . . . Alles, was uns in die Hände kommt, wird mit dem Gewehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch mit einer Kugel. . . . Wer mit einer Waffe getroffen wird) der ist unser Gegner und muß daran glauben.“

Aber nicht nur das Militär, auch die Justiz tat das Ihrige, um unter den Arbeitern des Reviers Angst und Schrecken zu verbreiten. In Schnellverfahren verhängte sie Freiheitsstrafen, die sich auf fast 2000 Jahre summierten. Als Delikt genügte bereits, daß Frauen sich um die Versorgung der Verwundeten gekümmert hatten. Die militärischen Standgerichte plädierten 205mal für Tod, 50 Urteile wurden vollstreckt. Die Härte, die sich hier offenbarte, stand in eigentümlichem Kontrast zu der Milde, mit der man den Verschwörern von rechts begegnete. Gegen Kapp und seine Mitläufer gab es neben einigen Freisprüchen nicht mehr als fünf Jahre Festungshaft, ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie blind die Weimarer Rechtssprechung auf dem rechten Auge war.

Der Ruhrkrieg war, so sein Chronist, der Historiker George Eliasberg,““die größte Aufstandsbewegung, die es in Deutschland seit den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts gegeben hatte““. Mit ihm gelangte die revolutionäre Nachkriegskrise zu einem vorläufigen Abschluß. Vorangegangen war ihm eine lange Kette sozialer Konflikte, die in den Ballungszentren des Ruhrgebiets mit besonderer Schärfe ausgetragen wurden. Vor 1918 hatten hier die Industriellen, namentlich die Bergbauunternehmer mit harter Hand regiert, hatten auf einem schroffen „“Herr-im-Hause“-Standpunkt beharrt, den Gewerkschaften jede Anerkennung verweigert und die Arbeiter einer rigiden innerbetrieblichen Disziplin unterworfen. Zeitgenossen sprachen in diesem Zusammenhang von „Grubenmilitarismus“. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad war vergleichsweise niedrig, die Gewerkschaften waren überdies in vier, durch ideologische und konfessionelle Gegensätze geschiedene Richtungen aufgespalten. Dem machtbewußten Unternehmertum konnten sie kaum Paroli bieten.

Nach Ausbruch der Revolution schien es zunächst, als würde ein abrupter Wandel eintreten, als würde die bedingungslose Konfrontation durch Kooperation abgelöst. Die Arbeitgeber setzten sich mit den Gewerkschaften im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft an einen Tisch, um zu einem möglichst reibungslosen Übergang von der Kriegs- in die Friedenswirtschaft zu kommen. Für die Unternehmer hatte dies den Vorteil, daß sie sich ihrer Partner als Ordnungsfaktoren gegen den „Druck der Straße“ bedienen konnten. Die Gewerkschaften spielten das Spiel mit, beschränkten sich auf .sozialpolitische Teilziele und warfen ihr Gewicht in die Waagschale, um revolutionäre Forderungen, die unter ihren Anhängern überaus lebendig waren, zu blockieren. Das zeigte sich deutlich in den Sozialisierungsbewegungen des Jahres 1919. Besonders der Bergarbeiterverband wandte sich gegen jeden Eingriff in die Produktion und die bestehenden Eigentumsverhältnisse. Er handelte dabei im Einklang mit der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung, die durch den Einsatz von Militär Streiks zu dämpfen und zu verhindern suchte. Gegen Jahresende herrschte im Revier eine Atmosphäre oberflächlicher Ruhe, um den Preis freilich, daß in der maßlos verbitterten Arbeiterschaft ein beträchtlicher Radikalisierungsprozeß ausgelöst worden war. Sozialdemokratie und Gewerkschaften verloren in dieser Phase ebenso wie die gerade aus der Taufe gehobene Republik viel an Glaubwürdigkeit.

Nachrichten vom Einmarsch putschender Truppen in Berlin am 13. März 1920 hatten die Wirkung einer Lunte, die in ein Pulverfaß fiel. Allerorten bildeten sich Aktionsausschüsse, die den Generalstreik organisierten, zu dem die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder und die freien Gewerkschaften aufgerufen hatten. Bei der weiteren Entwicklung im Revier kam der Haltung der Armee, dem Generalkommando in Münster und den lokalen Befehlshabern eine Schlüsselrolle zu. Als außerordentlich krisenverschärfend erwies sich, daß eine eindeutige Stellungnahme unterblieb. Der Führungsstab in Münster zog sich auf vermeintlich neutrale ordnungspolitische Aufgaben zurück. Damit betraute er allerdings Einheiten, die aus ihrer Sympathie mit den Zielen des Staatsstreichs keinen Hehl machten. Für weite Teile der Bevölkerung mußte sich daher der Eindruck aufdrängen, als stünde die Reichswehr mit den Putschisten im Bunde und treffe Anstalten, das ökonomisch so wichtige westliche Industriezentrum für die selbsternannte Regierung Kapp zu sichern.

Das Vorgehen der Militärs vermittelte der in sich zerstrittenen Arbeiterschaft wieder so etwas wie ein gemeinsames Feindbild. Gegen die in den Truppen handgreifliche „“Reaktion““ formierte sie sich zu einheitlichen Abwehraktionen, die vor etablierten Parteigrenzen – Mehrheitssozialdemokratie, Unabhängige Sozialdemokratie, Kommunisten — nicht haltmachten. Aus dem entschlossenen Widerstandswillen erwuchsen den zunächst isoliert operierenden Truppenteilen schwere Niederlagen. Die Arbeiterarmee kämpfte so erfolgreich, daß die Reichswehr sich auf Linien nördlich der Lippe zurückziehen mußte.Eine Fortsetzung dieser Anfangserfolge gelang jedoch nicht. Dazu waren die strukturellen Schwächen der Roten Ruhrarmee zu groß. Sie war geprägt von Spontaneität und Improvisation.

Eine übergeordnete Befehlsgewalt existierte nicht. Zumindest zwei Zentren (Hagen, Mülheim) mit verschiedenen taktischen und strategischen Vorstellungen konkurrierten miteinander, die Koordination war bis zum Schluß mangelhaft. Das erklärt, warum die Bewegung nach dem Scheitern Kapps am 17. und dem Abbruch des reichsweiten Generalstreiks am 23. März der sich reorganisierenden Reichswehr nicht allzuviel entgegenzusetzen hatte. Durch geschicktes Taktieren der Regierung, eine Mischung von Verhandlungen und Ultimaten, wurde sie zudem politisch endgültig auseinanderdividiert, in einen kompromißbereiten und einen bedingungslos weiterkämpfenden Teil, so daß das Militär bereits am Ende der ersten Aprilwoche wieder überall Herr der Lage war. Die Aufstandsbewegung im Revier offenbarte den Willen der sozialistisch orientierten Arbeiterschaft, die Republik und ihre Errungenschaften gegen den Staatsstreich von rechts zu verteidigen. Aber sie blieb dabei nicht stehen, sondern versuchte, gewissermaßen in einem zweiten Anlauf, die im November 1918 versäumte Revolution nachzuholen, zumindest für eine energische Demokratisierung von Heer, Verwaltung, Justiz und Wirtschaft zu sorgen.

Die Ereignisse nach der Niederwerfung des Aufstandes zeigten indes, daß noch nicht einmal gemäßigte Reformen durchsetzbar waren. Für die Sozialdemokratie, die sich selbst nicht zu Unrecht als Staatspartei der Republik begriff, hatte das alles fatale Konsequenzen. Sie enttäuschte erneut die Erwartungen ihrer Wähler. Bei den Reichstagswahlen im Juni 1920 verlor sie in den Städten an Rhein und Ruhr weit über die Hälfte ihrer Anhängerschaft an die radikale Konkurrenz von links – ein Rückschlag, von dem sie sich für die Dauer der Weimarer Demokratie nicht mehr erholen sollte.

Quelle: Jens Flemming , in: Merianhefte Ruhrgebiet , 1980

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