Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Er braucht’s nicht wider Dänemark,
Er braucht’s nicht wider Kassel –
Für solchen Quark, spricht Herr Bismarck,
Genügt ein stark Gerassel.
Er braucht es nicht am Rhein, am Po
Die Flammenzeichen rauchen
Schon längst nicht mehr – drum sagt mir, wo,
Wozu mag er’s gebrauchen?
Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Er braucht es nicht für Griechenland;
Denn ach! Athen und Sparta,
Sie haben noch nicht hergesandt
Um unsre Magna Charta.
Er braucht es nicht wie Friederich
Auf fernen Siegesbahnen –
Herr Wilhelm braucht es innerlich
Für seine Untertanen.
Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Er braucht es für des Freiheitswolfs
Weit aufgesperrten Rachen;
Er braucht es, wenn wir Bockum-Dolffs
Zum Bürgermeister machen.
Er braucht’s um seiner Stände Saal
Holdschützend zu umgeben;
Er braucht’s gelegentlich einmal,
Die Sitzung aufzuheben.
Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Er braucht es, den gemeinen Mann
Hochnäsig anzuschnarren
Und, wenn er murrt, zeitlebens dann
Im Zuchthaus einzuscharren.
Er braucht es ja! – von Wacht- zu Wacht-
Paraden hinzustrolchen
Und dann in stiller Mitternacht
Hausknechte zu erdolchen –
Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Für Junker, die kein Glück gehabt
In Schafzucht und in Wolle,
An Leib und Seele abgeschabt,
Für Junker – welche Rolle!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Braucht Pulver und Patronen;
An Jesum Christum glaubt er sehr,
Doch mehr noch an Kanonen.
Und immer mehr und immer mehr
Und immer mehr Soldaten!
Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,
Er sinnt auf große Taten.
Die Infanterie, die Kavallerie,
Die Artillerie entfalten
Die Gottesgnadenmonarchie
In dreierlei Gestalten.
Er kann, o Volk, wie einen Hund
Aufs Bajonett dich spießen,
Kann dich zusammenreiten und
Kann dich zusammenschießen.
Die drei sind eins – und wißt ihr’s nicht,
So sollt ihr’s eben lernen;
Dreijähr’gen Glaubensunterricht
Erteilen die Kasernen.
Text: Georg Herwegh: Herr Wilhelm, Preußiscbe Konfliktpoesien, Januar 1863
In der Version der Grenzgänger
Thema: 1850-1870
(17. 05. 1863)
Schlagwort: Lieder |