Über den Verfall des Feudalismus

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3. Mai 1500

Während die wüsten Kämpfe des herrschenden Feudaladels das Mittelalter mit ihrem Lärm erfüllten, hatte die stille Arbeit der unterdrückten Klassen in ganz Westeuropa das Feudalsystem untergraben, hatte Zustände geschaffen, in denen für den Feudalherrn immer weniger Platz blieb. Auf dem Lande freilich trieben die adligen Herren noch ihr Wesen, peinigten die Leibeignen, schwelgten von ihrem Schweiß, ritten ihre Saaten nieder, vergewaltigten ihre Weiber und Töchter.

Aber ringsherum hatten sich Städte erhoben; in Italien, Südfrankreich, am Rhein altrömische Munizipien, aus ihrer Asche erstanden; anderswo, namentlich im Innern Deutschlands, neue Schöpfungen; immer eingeringt in schirmende Mauern und Gräben, Festungen, weit stärker als die Burgen des Adels, weil bezwingbar nur durch ein großes Heer. Hinter diesen Mauern und Gräben entwickelte sich — zunft-bürgerlich und kleinlich genug — das mittelalterliche Handwerk, sammelten sich die ersten Kapitalien an, entsprang das Bedürfnis des Verkehrs der Städte untereinander und mit der übrigen Welt, und, mit dem Bedürfnis, allmählich auch die Mittel, diesen Verkehr zu schützen.

Im fünfzehnten Jahrhundert waren die Städtebürger bereits unentbehrlicher in der Gesellschaft geworden als der Feudaladel. Zwar war der Ackerbau noch immer die Beschäftigung der großen Masse der Bevölkerung und damit der Hauptproduktionszweig. Aber die paar vereinzelten Freibauern, die sich hie und da noch gegen die Anmaßungen des Adels erhalten, bewiesen hinreichend, daß beim Ackerbau nicht die Bärenhäuterei und die Erpressungen des Adligen die Hauptsache sei, sondern die Arbeit des Bauern. Und dann hatten sich die Bedürfnisse auch des Adels so vermehrt und verändert, daß selbst ihm die Städte unentbehrlich geworden; bezog er doch sein einziges Produktionswerkzeug, seinen Panzer und seine Waffen, aus den Städten!

Einheimische Tuche,  Möbel und Schmucksachen, italienische Seidenzeuge, Brabanter Spitzen, nordische Pelze, arabische Wohlgerüche, levantische Früchte, indische Gewürze — alles, nur die Seife nicht — kaufte er von den Städtern. Ein gewisser Welthandel hatte sich entwickelt; die Italiener befuhren das Mittelmeer und, darüber hinaus die atlantischen Küsten bis Flandern, die Hanseaten beherrschten bei aufkommender holländischer und englischer Konkurrenz noch immer Nord- und Ostsee Zwischen den nördlichen und südlichen Zentren des Seeverkehrs wurde die Verbindung über Land erhalten; die Straßen, auf denen diese Verbindung stattfand, gingen durch Deutschland. Während der Adel immer überflüssiger und der Entwicklung hinderlicher, wurden so die Städtebürger die Klasse, in der die Fortentwicklung der Produktion und des Verkehrs, der Bildung, der sozialen und politischen Institutionen sich verkörpert fand.

Alle diese Fortschritte der Produktion und des Austausches waren in der Tat, nach heutigen Begriffen, sehr beschränkter Natur. Die Produktion blieb gebannt in die Form des reinen Zunfthandwerks, behielt also selbst noch einen feudalen Charakter; der Handel blieb innerhalb der europäischen Gewässer und ging nicht über die levantischen Küstenstädte hinaus, in denen er die Produkte des Fernen Ostens eintauschte. Aber kleinlich und beschränkt, wie die Gewerbe und mit ihnen die gewerbetreibenden Bürger blieben, sie reichten hin, die feudale Gesellschaft umzuwälzen, und sie blieben wenigstens in der Bewegung, während der Adel stagnierte.

Dabei hatte die Bürgerschaft der Städte eine gewaltige Waffe gegen den Feudalismus — das Geld, In der feudalen Musterwirtschaft des frühen Mittelalters war für das Geld kaum Platz gewesen. Der Feudalherr bezog von seinen Leibeigenen alles, was er brauchte; entweder in der Form von Arbeit oder in der von fertigem Produkt; die Weiber spannen und wobei den Flachs und die Wolle und machten die Kleider; die Männer bestellten das Feld; die Kinder hüteten das Vieh des Herrn, sammelten ihm Waldfrüchte, Vogelnester, Streu; die ganze Familie hatte außerdem noch Korn, Obst, Eier, Butter, Käse, Geflügel, Jungvieh und was nicht alles noch einzuliefern. Jede Feudalherrschaft genügte sich selbst; sogar die Kriegsleistungen wurden in Produkten eingefordert; Verkehr, Austausch war nicht vorhanden, Geld überflüssig. Europa war auf eine so niedrige Stufe herabgedrückt, hatte so sehr wieder von vorn angefangen, daß das Geld damals weit weniger eine gesellschaftliche als eine bloß politische Funktion hatte: Es diente zum Steuerzahlen und wurde hauptsächlich erworben durch Raub.

Alles das war jetzt anders. Geld war wieder allgemeines Austauschmittel geworden, und damit hatte sich seine Masse bedeutend vermehrt; auch der Adel konnte es nicht mehr entbehren, und da er wenig oder nichts zu verkaufen hatte, da auch das Rauben jetzt nicht ganz so leicht mehr war, mußte er sich entschließen, vom bürgerlichen Wucherer zu borgen. Lange ehe die Ritterburgen von den neuen Geschützen in Bresche gelegt, waren sie schon vom Geld unterminiert; in der Tat, das Schießpulver war sozusagen bloß der Gerichtsvollzieher im Dienst des Geldes.

Das Geld war der große, politsche Gleichmachungshobel der Bürgerschaft. Überall, wo ein persönliches Verhältnis durch ein Geldverhältnis, eine Naturalleistung durch eine Geldleistung verdrängt wurde, da trat ein bürgerliches Verhältnis an die Stelle eines feuda-len. Zwar blieb die alte brutale Naturalwirtschaft auf dem Lande in bei weitem den meisten Fällen bestehn; aber schon gab es ganze Distrikte, wo, wie in Holland, in Belgien, am Niederrhein, die Bauern den Herren Geld statt Fronden und Naturalabgaben entrichteten, wo Herren und Untertanen schon den ersten entscheidenden Schritt getan hatten zum Übergang in Grundbesitzer und Pächter, wo also auch auf dem Lande den politischen Einrichtungen des Feudalismus ihre gesellschaftliche Grundlage abhanden kam.

Friedrich Engels, 1884

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