Thomas Müntzer in Mühlhausen

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25. Februar 1525

Gleich beim Ausbruch der ersten Bewegungen in Schwaben war Thomas Münzer wieder nach Thüringen geeilt und hatte seit Ende Februar oder anfangs März seinen Wohnsitz in der freien Reichsstadt Mühlhausen genommen, wo seine Partei am stärksten war. Er hatte die Fäden der ganzen Bewegung in der Hand; er wußte, welch allgemeiner Sturm in Süddeutschland auszubrechen im Begriff war, und hatte es übernommen, Thüringen in das Zentrum der Bewegung für Norddeutschland zu verwandeln.

Er fand einen höchst fruchtbaren Boden. Thüringen selbst, der Hauptsitz der Reformationsbewegung, war im höchsten Grade aufgeregt; und die materielle Not der unterdrückten Bauern nicht minder als die kursierenden revolutionären, religiösen und politischen Doktrinen hatten auch die benachbarten Länder, Hessen, Sachsen und die Harzgegend, für einen allgemeinen Aufstand vorbereitet. In Mühlhausen namentlich war die ganze Masse der Kleinbürgerschaft für die extreme, Münzersche Richtung gewonnen und konnte kaum den Moment erwarten, an dem sie ihre Überzahl gegen die hochmütige Ehrbarkeit geltend machen sollte.

Münzer selbst mußte, um dem richtigen Moment nicht vorzugreifen, besänftigend auftreten; doch sein Schüler Pfeifer , der hier die Bewegung dirigierte, hatte sich schon so kompromittiert, daß er den Ausbruch nicht zurückhalten konnte, und schon am 17. März 1525, noch vor dem allgemeinen Aufstand in Süddeutschland, machte Mühlhausen seine Revolution. Der alte patrizische Rat wurde gestürzt und die Regierung in die Hände des neugewählten „ewigen Rats“ gelegt, dessen Präsident Münzer war. […]

Die Stellung Münzers an der Spitze des ewigen Rats von Mühlhausen war indes noch viel gewagter als die irgendeines modernen revolutionären Regenten. Nicht nur die damalige Bewegung, auch sein ganzes Jahrhundert war nicht reif für die Durchführung der Ideen, die er selbst erst dunkel zu ahnen begonnen hatte. Die Klasse, die er repräsentierte, weit entfernt, vollständig entwickelt und fähig zur Unterjochung und Umbildung  der ganzen Gesellschaft zu sein, war eben erst im Entstehen begriffen. Der gesellschaftliche Umschwung, der seiner Phantasie vorschwebte, war noch so wenig in den vorliegenden materiellen Verhältnissen begründet, daß diese sogar eine Gesellschaftsordnung vorbereiteten, die das gerade Gegenteil seiner geträumten Gesellschaftsordnung war.

Dabei aber blieb er an seine bisherigen Predigten von der christlichen Gleichheit und der evangelischen Gütergemeinschaft gebunden; er mußte wenigstens den Versuch ihrer Durchführung machen. Die Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung aller zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit wurde proklamiert. Aber in der Wirklichkeit blieb Mühlhausen eine republikanische Reichsstadt mit etwas demokratisierter Verfassung, mit einem aus allgemeiner Wahl hervorgegangenen Senat, der unter der Kontrolle des Forums stand, und mit einer eilig improvisierten Naturalverpflegung der Armen.

Der Gesellschaftsumsturz, der den protestantischen bürgerlichen Zeitgenossen so entsetzlich vorkam, ging in der Tat nie hinaus über einen schwachen und unbewußten Versuch zur übereilten Herstellung der späteren bürgerlichen Gesellschaft.

Münzer selbst scheint die weite Kluft zwischen seinen Theorien und der unmittelbar vorliegenden Wirklichkeit gefühlt zu haben, eine Kluft, die ihm um so weniger verborgen bleiben konnte, je verzerrter seine genialen Anschauungen sich in den rohen Köpfen der Masse seiner Anhänger widerspiegeln mußten. Er warf sich mit einem selbst bei ihm unerhörten Eifer auf die Ausbreitung und Organisation der Bewegung; er schrieb Briefe und sandte Boten und Emissäre nach allen Seiten aus. Seine Schreiben und Predigten atmen einen revolutionären Fanatismus, der selbst nach seinen früheren Schriften in Erstaunen setzt.

Der naive jugendliche Humor der revolutionären Münzerschen Pamphlete ist ganz verschwunden; die ruhige, entwickelnde Sprache des Denkers, die ihm früher nicht fremd war, kommt nicht mehr vor. Münzer ist jetzt ganz Revolutionsprophet; er schürt unaufhörlich den Haß gegen die herrschenden Klassen, er stachelt die wildesten Leidenschaften auf und spricht nur noch in den gewaltsamen Wendungen, die das religiöse und nationale Delirium den alttestamentarischen Propheten in den Mund legte. Man sieht aus dem Stil, in den er sich jetzt hineinarbeiten mußte, auf welcher Bildungsstufe das Publikum stand, auf das er zu wirken hatte.

Das Beispiel Mühlhausens und die Agitation Münzers wirkten rasch in die Ferne. In Thüringen, im Eichsfeld, im Harz, in den sächsischen Herzogtümern, in Hessen und Fulda, in Oberfranken und im Vogtland standen überall Bauern auf, zogen sich in Haufen zusammen und verbrannten Schlösser und Klöster. Münzer war mehr oder weniger als Führer der ganzen Bewegung anerkannt, und Mühlhausen blieb Zentralpunkt, während in Erfurt eine rein bürgerliche Bewegung siegte und die dort herrschende Partei fortwährend eine zweideutige Stellung gegen die Bauern beobachtete.

in: „Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg“ – geschrieben im Sommer 1850, zuerst in: „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue“, Fünftes und Sechstes Heft, Mai bis Oktober 1850, von Friedrich Engels zuletzt bearbeitet 1875.

 

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