Max Hölz: Schule und Ausbildung

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22. Juni 1921

Als ich die Schule verließ, wäre ich gern Schlosser geworden, aber meine Eltern waren blutarm und konnten kein Lehrgeld bezahlen. Ich wurde nach der Konfirmation als Tagelöhner zu einem Gutsbesitzer gegeben. Ich habe alle Arbeiten, die auf dem Lande vorkommen, gemacht. Die Arbeiten sind mir nie lästig geworden. Ich hatte immer das Bestreben, vorwärts zu kommen, nicht nur um zu leben, sondern um zu verdienen, um einmal meinen Eltern das zu vergelten, was sie an mir und meinen Geschwistern getan haben. Auf mich setzten meine Eltern ihre größten Hoffnungen, da ich als das begabteste von ihren Kindern galt. In den zwei Jahren, die ich auf dem Lande zubrachte, habe ich mich in den wenigen Mußestunden durch Bücher soweit gebracht, daß ich mit der weiteren Umwelt in Berührung kam, mit einer Welt, die nicht auf meinem Dorf bekannt war.

Am Ende dieser zwei Jahre kam der erste selbständige und entscheidende Schritt in meinem Leben. Ich ging ohne Einwilligung meiner Eltern in die Stadt. Nach zwei Monaten kam ein weiteres noch größeres Wagnis. Mit sechzehn Jahren wanderte ich nach England aus und habe dort versucht, mein Fortkommen zu finden. Meine Wünsche gingen soweit in Erfüllung, als es mir gelang, ‚eine Stellung‘ als Volontär In einem technischen Büro zu erhalten. Man ist in England großzügiger als in Deutschland. Man verlangt dort nicht für jeden Posten ein Staatszeugnis oder ein Examen. Man kann sich dort aus eigener Kraft emporarbeiten. In England fragt man nicht, wer ist dein Vater. In England gilt der Mann, was er tut, was er leistet.

Ich weiß heute, daß in England infolge des kapitalistischen Systems die gleiche Ausbeutung der besitzlosen Klasse stattfindet, damals fühlte ich mich freier als in Deutschland. Am Tage besuchte ich die technische Hochschule in einem Londoner Vororte, während der Nacht habe ich in einem Autodroschkenbetrieb die Wagen gewaschen. Durch diese Nachtarbeit verdiente ich mir den Unterhalt, das Schulgeld und das Geld für die Bücher. In England habe ich sehr gehungert und oft nicht das Nötigste gehabt, um mir das trockene Brot zu kaufen. Ich habe einmal drei Tage Lang keinen Bissen Brot genossen, so daß ich auf der Straße umfiel.

Wegen der Erfüllung meiner Militärdienstpflicht mußte ich nach Deutschland zurückkehren. Ich fand nicht gleich Stellung in meinem Beruf als Techniker. Ich wurde zunächst in Berlin Hausdiener im Architektenhaus in der Wilhelmstraße. Ich versuchte unterdessen, eine Stellung zu finden, die meinen Kenntnissen entsprach. Es war damals eine schwere Zeit. Hunderte von Stellungsuchenden standen an den Plätzen, an denen der „“Arbeitsmarkt““ ausgegeben wurde. Ich bin dann zu Siemens und Halske gegangen und habe den Arbeitern das Essen in der Mittagspause herauf getragen. Erst nach langem Warten gelang es mir, bei Arthur Koppel in meinem Beruf als Techniker Beschäftigung zu finden. Ich wurde der alliierten Firma Bachstein zugeteilt und von hier aus zu einem Bahnbau nach Bayern geschickt.

Bei dieser Tätigkeit sagten zu mir die Ingenieure: Hölz, Sie sind ein tüchtiger Mensch. Versuchen Sie es, noch zwei oder vier Semester eine technische Schule zu besuchen. Ich habe versucht, mich auf die technische Hoch-, schule vorzubereiten. Von meinen Eltern konnte ich keine Mittel dazu bekommen. Ich wollte zunächst das Einjährigenzeugnis erlangen.

Ich ging nach Dresden, um dort eine „Presse“ zu besuchen. In Dresden ist es mir schwer gefallen, durchzukommen. Eine Stellung als Techniker konnte ich nicht annehmen, weil ich dann tagsüber hätte arbeiten müssen und mir keine Zeit für meine Schularbeiten geblieben wäre. So mußte ich mich nach allen möglichen Arbeitsgelegenheiten umsehen. Ich hätte ja stehlen können, wenn ich dazu veranlagt wäre, an Hunger dazu hat es nicht gefehlt. Ich habe mich aber nicht gescheut, als zwanzigjähriger Mensch des Abends Kegel aufzusetzen zum Vergnügen vollgefressener, fetter Bourgeois. Ich erhielt 75 Pfennig pro Abend. Mit derartigen Beschäftigungen verdiente ich soviel, um mich notdürftig über Wasser zu halten.

Endlich fand ich Stellung in einem Kinotheater in der Wettinstraße als Vorführer. Ich erhielt 25 Mark wöchentlich. Damit hatte ich Geld, um mir ein richtiges Zimmer zu mieten, um die „“Presse““ zu besuchen und um mir Bücher zu kaufen. Infolge meiner doppelten Beschäftigung, als Schüler und Erwerbstätiger, führte ich eine sehr anstrengende, ungesunde Lebensweise. Von der „“Presse““ mußte ich nachmittags zu den Vorführungen in das Kinotheater, das ich erst nach Schluß der letzten Abendvorstellung verlassen konnte. Dann begann ich mit meinen Schularbeiten. Ich habe oft, wenn der Morgen schon graute, noch in meinen Kleidern über den Büchern gesessen. Dann ging ich, ohne im Bette gewesen zu sein, des Morgens in die Schule. Dieses Leben führte ich ein Jahr lang. Dann kam ich zur Generalaushebung.

Die ärztliche Untersuchung stellte eine furchtbare Veränderung meiner körperlichen Beschaffenheit fest. Während ich bei einer Musterung wenige Monate zuvor tauglich zur Kavallerie befunden worden war, war ich jetzt kränklich und für den Dienst in der Linie untauglich. Die Militärärzte konnten sich die Ursachen meines plötzlichen körperlichen Verfalls nicht erklären. Ich wurde Ersatzreserve. Da ich mich selbst unfähig fühlte, mein bisheriges Leben fortzuführen, insbesondere unter häufigen Kopfschmerzen litt, konsultierte ich verschiedene Ärzte. Sie hatten den Verdacht, daß ich schwindsüchtig sei. Die Aerzte rieten mir übereinstimmend von weiteren Versuchen, das Einjährigenexamen zu machen, ab und empfahlen mir auch eine Berufsausbildung in freier Luft. Diesem Rate folgend ging ich in das Vogtland, wo ich entsprechende Beschäftigung fand. Hier lernte ich meine Frau kennen und heiratete. Auf diese Weise bin ich im Vogtland kleben geblieben.

Nach dem stenografischen Bericht, herausgegeben v Felix Halle ,1921 – Rede vor Gericht
herausgegeben Packpapier 45 Osnabrück Verlag und Versand –

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