Ich bin als Sohn eines Schneidemühlenarbeiters geboren. Mein Vater hat sich viele Jahre als Tagelöhner durchgeschlagen. Wir waren sechs Geschwister, zwei sind in frühester Jugend gestorben. Mein Vater war ein arbeitssamer Mann, aber er hatte ein heißes Temperament. Er war kein Kriecher. Sobald er sah, daß er Speichel lecken sollte, ist er seiner Wege gegangen. So kam es, daß wir sechs oder sieben Dörfer durchwanderten. Ein häufiger Schulwechsel für mich war die Folge. Ich hatte aber nicht einmal Zeit, die häuslichen Aufgaben der Landschule zu erfüllen. Mit elf Jahren mußte ich bereits mitverdienen. Ich hütete zuerst die Gänse, später war ich im Sommer Kuh- und Pferdehirt. Im Winter mußte ich die Pferde der Dreschmaschine antreiben.
Meine Eltern waren sehr religiös und sind es heute noch. Mein Vater ist katholisch, meine Mutter protestantisch. Sie haben uns in ihrem religiösen Sinne erzogen. Ich kann mich an keinen Sonntag erinnern, an dem wir nicht in die Kirche gingen und zwar nicht aus äußerlichen Gründen, um etwa gesehen zu werden, sondern aus innerem Bedürfnis heraus. Wir setzten uns nicht ein einzigesmal zu Tisch, ohne zu beten, wir gingen ohne Gebet nicht schlafen. –
Mein Vater verdiente wöchentlich 10 Mark. Wir waren sechs Kinder, später waren wir vier. Wir mußten alle mitarbeiten und haben es redlich getan. Meine Eltern haben für meine Großeltem mitgesorgt. Ich mußte stundenweit das Essen zu meinen Großeltern in ein entferntes Dorf bringen. Ich habe gedacht, wenn ich aus der Schule komme, dann müßte ich auch für meine Eltern sorgen. Ich habe eine so ungeheure Achtung vor meinem Vater und vor meiner Mutter. Mein Vater ist nicht ein einziges Mal ins Wirtshaus gegangen. Mein Vater hatte nur ein Vergnügen. Er hat des Sonntags auf dem Sofa gesessen und eine einzige Zigarre geraucht.
Dieser Mann, groß im Arbeiten und gering an Bedürfnissen ist der Typ des nichtklassenbewußten Proletariers. Er ist ein großer Tierfreund, der aus einer Gutsbesitzerfamilie hervorgegangen ist. Er hatte in Ulm eine bessere Schule besucht, aber die Liebe zu den Pferden hatte ihn in den einfachen ländlichen Beruf zurückgeführt. Dieser Mann hatte nicht meine Gesinnung und hat sie heute noch nicht. Er schämt sich meiner. Man kann es von einem solchen Menschen auch nicht verlangen, daß er sich meine Gesinnung aneignet. Er kann mein Tun nicht begreifen, aber vielleicht kommt er noch dazu, es zu verstehen.
Nach dem stenografischen Bericht, herausgegeben v Felix Halle ,1921 – herausgegeben Packpapier 45 Osnabrück Verlag und Versand – Max Hölz – Rede vor Gericht , am 22. Juni 1921 , Moabit , Berlin
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