Im März 1919 kam es zu Kämpfen zwischen den in der Revolution aufgestellten republikanischen Verbänden, die aufgelöst werden sollten, und den unter dem Befehl von Reinhardt ( Oberst Reinhardt ) stehenden Regierungstruppen und Freikorps. Den republikanischen Truppen schlossen sich einige Arbeiter an. In einem offiziellen Bericht vom 9. März 1919 teilte die Gardekavallerie-Schützendivision der Berliner Presse mit (vergl. z. B. ,,Deutsche Tagesztg.“ vom 10. März):
,,Die Spartakisten führen zurzeit ihre Absicht, sich in Lichtenberg zu verschärftem Widerstand zu rüsten, aus. Das Polizeipräsidium Alexanderplatz wurde von ihnen gestürmt und sämtliche Bewohner, mit Ausnahme des Sohnes des Polizeipräsidenten, auf viehische Weise niedergemacht.“
Ähnlich teilte Regierungsrat Doye vom Ministerium des Inneren dem ,,Berliner Tageblatt“ am 10. März 1919 die Erschießung von 57 Polizisten mit. Nach der ,,B. Z. am Mittag“ vom 9. März wurden 60 Kriminalbeamte und viele andere Gefangene erschossen, und zwar wurden ,,Gefangene, die sich zur Wehr setzen wollten, teilweise von vier bis fünf Spartakisten gehalten, während der sechste ihnen mit der Pistole zwischen die Augen schoß.“ Dabei stützte sich die ,,B. Z.“ auf eine von ,,einer militärischen Befehlsstelle übermittelte eidliche Aussage von fünf Soldaten.“
Diese Nachricht ging durch die ganze deutsche Presse und beeinflußte die öffentliche Meinung in schärfster Weise gegen die Spartakisten. Tagelang wimmelte es von blutrünstigen Schilderungen. So meldete die ,,Vossische Zeitung“ und natürlich ebenso die rechtsstehende Presse am 10. März sogar 150 Ermordete. Alle diese Meldungen waren erlogen. Erst am 13. März meldete die ,,B. Z.“, daß die Beamten in Wirklichkeit entlassen worden waren. .Am gleichen Tage erklärten die ,,Vossische“ und der ,,Vorwärts“ auf Grund der Aussagen des Bürgermeisters Ziethen, „daß sich alle Nachrichten über die Massenerschießungen von Schutzleuten und Kriminalbeamten bei der Eroberung des Lichtenberger Polizeipräsidiums als unwahr erwiesen haben.“
Endlich nach der ,,B- Z.“ vom 14. März und dem Nachruf auf die Gefallenen stellte sich heraus, daß nur zwei Beamte tot waren. Davon war einer im Kampf gefallen und über die Todesart des andern konnte nichts festgestellt werden. Auf Grund des Lichtenberger Beamtenmordes (,,Deutsche Tageszeitung“, ,,Berl. Tageblatt“ vom 10. März 1919) verhängte Noske als Oberkommandierender in den Marken über Berlin das Standrecht und erließ folgende Anordnung (W. T. B., 9. März):
,,Die Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten zwingen mich zu folgendem Befehl: Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“
Daneben erließ die Gardekavallerie-Schützendivision selbständig einen Befehl, wonach auch Leute zu erschießen wären, in deren Wohnungen Waffen gefunden würden. Ein Nachweis der Teilnahme am Kampfe sei nicht nötig. Der Befehl lautete: ,,.Garde-Kav.-Division. Abt. La. Nr. 20 950. Befehl für den 10. 3. nachm. und den 11. 3. Div.-St.-Qu., den 10. 3. 1919. Leitsatz: Wer sich mit Waffen widersetzt oder plündert, gehört sofort an die Mauer. Daß dies geschieht, dafür ist jeder Führer mitverantwortlich. Ferner sind aus Häusern, aus welchen auf die Truppen geschossen wurde, sämtliche Bewohner, ganz gleich, ob sie ihre Schuldlosigkeit beteuern oder nicht, auf die Straße zu stellen, in ihrer Abwesenheit die Häuser nach Waffen zu durchsuchen; verdächtige Persönlichkeiten, bei denen tatsächlich Waffen gefunden werden, zu erschießen. Ziffer 2e: Jeder Hausbewohner oder Passant, der in unrechtmäßigem Besitz von Waffen gefunden wird, ist festzunehmen und mit kurzem Bericht in dem nächsten Gefängnis abzuliefern. Wer sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr setzt, ist sofort niederzuschießen.“
Die ,,Politisch-Parlamentarischen Nachrichten“ erklärten zwar am 18. März 1919, ,,daß ihnen von zuständiger Seite versichert worden sei, ein derartiger Erlaß sei nicht ergangen“. Tatsächlich hat sich aber Marloh in seiner ersten Aussage vom 4. Dezember 1919 ausdrücklich auf diesen Befehl gestützt und hat ihn wörtlich verlesen. Die beiden Erlasse gehen weit über das Preußische Belagerungsgesetz vom 4. Juni 1851 hinaus. Denn darnach entscheidet über einen Angeklagten ein aus zwei Zivilrichtem und zwei dem Hauptmannsrang angehörigen Offizieren bestehendes Kriegsgericht. Bei Todesurteilen ist die Bestätigung des Oberbefehlshabers nötig, außerdem liegt eine Frist von 24 Stunden zwischen Urteil und Vollstreckung. Hier aber liegt die Entscheidung über Leben und Tod voilkommen im willkürlichen Ermessen einzelner Personen.
in: Vier Jahre politischer Mord , von Emil Julius Gumbel , eine Broschüre, in denen der Autor der Justiz etwa 300 ungesühnte politische Morde – in der Regel von rechts – in den Jahren 1918-1920 nachweist, veröffentlicht 1922: „Die höchste zuständige Stelle, der Reichsjustizminister, hat meine Behauptungen mehrmals ausdrücklich bestätigt. Trotzdem ist nicht ein einziger Mörder bestraft worden. “ – Bilder: Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution
Vorher - Nachher
Thema: Novemberrevolution 1918/19
Quelle(n): Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution, Vier Jahre politischer Mord
(09. 03. 1919)
Schlagwort: Fake-News |