1200 Tote – Leichen am Ufer der Spree

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10. März 1919

„Die meisten sind nicht in den Kämpfen gestorben, sondern nach der Verhaftung standrechtlich erschossen worden. Andere starben bei der Bombardierung von Arbeiterquartieren durch schwere Artillerie und Fliegerbomben.“
(Der Historiker Dieter Lange in der taz)

Das Mitglied des Vollzugsrates, Malzahn, der mit Offizieren verhandelt hatte, sagte über sie, „daß ein derartiger Haß gegen die revolutionäre Arbeiterschaft besteht, daß sie erklärten : Dieses Mal werden wir ganze Arbeit machen, wir werden sie alle niederschlagen.“ Gleichzeitig wurden „Die Freiheit“ und „Die Republik“ für einige Tage verboten. Da „Die Rote Fahne“ schon seit dem 4. März nicht erscheinen konnte, hatte die bürgerliche und rechtssozialdemokratische Presse das Propagandamonopol.

Die „Pressefreiheit“ wurde zu einem maßlosen Lügenfeldzug mißbraucht. Jetzt hatte der weiße Terror freie Bahn. „Während unter dem Feuer der Geschütze und Minenwerfer Häuserfronten einstürzten und ganze Familien unter ihren Trümmern begruben, brachen an Hausmauern, auf Schulhöfen, an Pferdeställen unter Schüssen, Kolbenhieben und Bajonettstichen die irgendwo aufgegriffenen Proletarier, vielfach Opfer unbekannter Denunzianten, zusammen. Allein, zu zweien, zu dreien, in Gruppen: an die Wand und erschossen. Nachts an die Spree, den Revolver an den Kopf und erschossen. Wochenlang spülte die Spree die Leichen ans Ufer.

Erschossen März 1919

Und immer wieder: Ein Spartakistennest ausgehoben und acht Menschen erschossen, dreißig erschossen,  vierunddreißig erschossen, so Stunde um Stunde, Tag und Nacht. Wie Heringe geschichtet, lagen die Leichen auf Wagen und wurden den Sammelstellen zugekarrt, wo sie, oft grausam verstümmelt, von den Angehörigen nach tagelangem Suchen gefunden wurden.

Nie wurde genau festgestellt, wie viele Menschen dem Wüten der Soldateska zum Opfer fielen. Nach Noskes eigenen Angaben waren es 1200. Unter ihnen war auch Leo Jogiches, der Kampfgefährte Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, der nach deren Ermordung die Führung der KPD übernommen hatte. Am 10. März fiel er in Neukölln in die Hände der „Ordnungs“kräfte, wurde ins Untersuchungsgefängnis Moabit geschleppt und von einem Kriminalbeamten von hinten durch Kopfschuß „auf der Flucht“ ermordet.

 

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Opfer einer grausamen und blutigen Terroraktion der Konterrevolution wurden auch 29 Matrosen der ehemaligen Volksmarinedivision.

In der Lichtenberger Möllendorfstraße wurden 11 rote Matrosen und Kommunisten ermordet. Am 12. März war Lichtenberg vom Freikorps Hülsen besetzt. Am 16. März wurde das Standrecht aufgehoben; der Belagerungszustand blieb noch bis Ende des Jahres bestehen. Hunderte waren inhaftiert. Malzahn berichtete am 14. März vor dem Vollzugsrat, daß es sich um etwa 1600 Gefangene handele.

„Die Zustände sind furchtbar.“ Jeder Soldat der Regierungstruppen könne verhaften, viele seien ohne Tatbestand gefangen, zum Beispiel war ein ganzer sozialdemokratischer Zahlabend „ausgehoben und weggeschleppt worden“. Die konterrevolutionären Militärs lösten alle mißliebigen Einheiten auf.

 

Aus den Berliner Märzkämpfen zog das Generalkommando Lüttwitz Schlußfolgerungen für die Führung des Bürgerkrieges. Die ersten beiden von insgesamt zwölf Punkten lauteten:

  1. Je schärfer die Mittel, desto schneller der Erfolg . . . Die schärferen Mittel sind die humaneren; nur Artillerie- und Minenfeuer macht dem Gegner hinter Mauern und Barrikaden Eindruck. Schreckschüsse vermeiden.
  2.  Keine Verhandlungen führen, sondern restlose Ergebung fordern.

„Und abermals herrscht Ordnung in Berlin. Die Ordnung des Kapitals und seiner geifernden Meute, die Ordnung der Weißgardisten“, hieß es in einem Flugblatt der KPD von Mitte März 1919. Es schloß mit der Mahnung: „Proletarier, besinnt euch. Deutlicher als je seht ihr den Weg dieser gegenrevolutionären, auf die Bourgeoisie und ihre bezahlten Söldner gestützten Regierung, klarer als je erkennt ihr den Hohn ihres Parlaments, ihrer Demokratie. Kämpft für das Rätesystem, kämpft für die Diktatur des Proletariats . . .

Seid auf der Hut, kämpft in den Betrieben, laßt euch nicht betören von dem Betrugsmanöver einer kapitalistischen Sozialisierung. Fordert eine mit allen notwendigen Rechten ausgestattete Untersuchungskommission des revolutionären Proletariats unter Ausschaltung der Militärgerichte und der bürgerlichen Klassenjustiz. Euer Weg ist noch lang und steinig aber der Sieg ist gewiß“

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Quelle:

in: Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution