Januaraufstand aus Verlegersicht

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6. Januar 1919

„Des Morgens sind nur die „Freiheit“ und die „Tägliche Rundschau“ erschienen, während die großen Druckereien von Scherl, Mosse und Ullstein sowie der „Vorwärts“ von Spartakusleuten besetzt sind. Der „Vorwärts“ ist als zweiseitiges Blatt erschienen mit dem Text der radikalsten Spartakusleute. Man telefoniert mir aus Moabit und aus der Wilhelmstraße, daß Tausende von Menschen in Demonstrationszügen für Ebert – Scheidemann durch die Straßen ziehen.

Gegen 12 Uhr fahre ich herab und begegne überall vorbeiziehenden Trupps und Arbeitern aus den stillgelegten Betrieben. Bürger, Offiziere und Soldaten, Frauen und Mädchen marschieren von allen Seiten nach der Wilhelmstraße. Extrablätter sollen verteilt worden sein, die eine Antispartakusdemonstration vor dem Reichskanzlerpalais gefordert haben. Der Potsdamer Platz ist schwarz von Menschen. Ich gehe mit bis zur Wilhelmstraße, wo sich alles staut. Es heißt, Scheidemann hat eine Rede gehalten, und jetzt seien wichtige Beratungen. Das Publikum soll warten bis zur Entscheidung.

Immer neue Züge treffen von allen Seiten ein. Alles staut sich. Zahlreiche Plakattafeln werden getragen, auf denen „Hoch Ebert – Scheidemann, Nieder mit Spartakus“ steht. Endlich ein erlösendes Wort: die Soldaten sollen Waffen bekommen! Mit Hurrah und Begeisterung wird die Kunde aufgenommen. Dann heißt es: Soldaten in die Voßstraße, MG-Leute in besonderen Reihen aufgestellt. Tausende junger und alter Soldaten in den allermöglichsten Uniformen und Kostümen stürmen vergnügt und tatendurstig in die Voßstraße, sammeln sich, bilden Gruppen und warten auf die Waffen. Wenn ein Auto kommt, wird es mit Hurrah und Hoch begrüßt, aber stets ist es irgendein gleichgültiges Gefährt.

Die ersehnten Waffen bleiben aus. Die Soldatenmassen marschieren hin und her, sammeln sich und lösen sich auf, und so stand ich mit ihnen bis 3 Uhr, und keine Waffen kamen. Allmählich verkrümelten sich die Massen. Hunger und Kälte trieben sie von dannen. Eine große Enttäuschung bemächtigte sich aller, denn was können die Menschen mit ihrem besten Willen und ihrer ernsten Begeisterung tun, wenn sie keine Waffen haben. Gleichzeitig weiß man, daß Spartakus Tausende von Waffen besitzt und eine radikale Verzweiflungsstimmung, die zu allem entschlossen ist, seine Leute bewegt.

Plötzlich hört man Maschinengewehrfeuer. Es heißt, daß aus dem Kriegsministerium geschossen und vier Personen verwundet seien. Des Abends steht in der Zeitung, daß das Kriegsministerium besetzt sei. Die Mittagszeitung bringt die Besetzung der Reichsbank und des Telegraphenamts, aber abends wird es wieder bestritten. Jedenfalls haben die Spartakusleute die Leipzigerstraße von der Wilhelmstraße bis zum Potsdamer Platz abgesperrt. Die Kasernen sollen besetzt sein, damit die Soldaten nicht der Regierung zu Hilfe kommen können.

Nachdem endlich die Regierung sich aufgerafft hat, bewaffnete Soldaten zur Hilfe zu rufen, hoffe ich, daß uns morgen schon der Einmarsch geordneter Truppen verkündet wird, die sicher spielend leicht Ordnung schaffen werden gegen die paar hundert radikalen Elemente, die den Terror ausüben. Viele Gerüchte schwirren umher. Es heißt, daß Spartakustruppen zur Regierung übergegangen sind. Hoffentlich wird bald Besinnung in die Massen kommen, sobald sie sehen, daß ihnen ernster, tatkräftiger Wille entgegengesetzt wird.

Bisher ist die ganze Revolution so spielend leicht, fast ohne Blut vor sich gegangen. Wenn bald eine zielbewußte Gegenaktion einsetzt, werden viele abspringen, ihr Leben und ihre Einnahmen retten und das Spiel aufgeben. Liebknecht selbst dürfte zu klug sein, heute die Regierung übernehmen zu wollen, denn er weiß, daß Berlin nicht Deutschland ist und daß man mit Maschinengewehren wohl andere Leute totschießen, aber der Masse nicht Brot und Kartoffeln geben kann. Er weiß, daß das Land gegen den Wasserkopf Berlin Front machen und jede Lebensmittelzufuhr absperren wird.

Deshalb war der Wunsch zur Nationalversammlung eine richtige politische Beurteilung der Situation, während der sinnlose, brutale Terror schnell sich totlaufen muß. Die nächsten Tage werden entscheiden, ob wir eine Regierung haben werden oder ob noch mehr Blut fließen muß, bis eine solche geschaffen ist.“

Quelle: Aufzeichnung aus dem Tagebuch des Unternehmers und Kunsthistorikers Oskar Münsterberg (1865-1920) aus Berlin (DHM-Bestand):  Münsterberg wurde 1906 Direktor der National-Zeitung in Berlin, ab 1909 Verlagsleiter in Leipzig und 1912 Direktor der Druckerei W. Hagelberg in Berlin

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