Diese gewaltsame, aber dennoch aus der Lebenslage der plebejischen Fraktion sehr erklärliche Antizipation auf die spätere Geschichte finden wir zuerst in Deutschland, bei Thomas Münzer und seiner Partei. Bei den Taboriten hatte allerdings eine Art chiliastischer Gütergemeinschaft bestanden, aber nur als rein militärische Maßregel. Erst bei Münzer sind diese kommunistischen Anklänge Ausdruck der Bestrebungen einer wirklichen Gesellschaftsfraktion, erst bei ihm sind sie mit einer gewissen Bestimmtheit formuliert, und seit ihm finden wir sie in jeder großen Volkserschütterung wieder, bis sie allmählich mit der modernen proletarischen Bewegung zusammenfließen; geradeso wie im Mittelalter die Kämpfe der freien Bauern gegen die sie mehr und mehr umstrickende Feudalherrschaft zusammenfließen mit den Kämpfen der Leibeigenen und Hörigen um den vollständigen Bruch der Feudalherrschaft.
Während sich in dem ersten der drei großen Lager, im konservativ-katholischen, alle Elemente zusammenfanden, die an der Erhaltung des Bestehenden interessiert waren, also die Reichsgewalt, die geistlichen und ein Teil der weltlichen Fürsten, der reichere Adel, die Prälaten und das städtische Patriziat, sammeln sich um das Banner der bürgerlich-gemaßigten lutherischen Reform die besitzenden Elemente der Opposition, die Masse des niederen Adels, die Bürgerschaft und selbst ein Teil der weltlichen Fürsten, der sich durch Konfiskation der geistlichen Güter zu bereichern hoffte und die Gelegenheit zur Erringung größerer Unabhängigkeit vom Reich benutzen wollte. Die Bauern und Plebejer endlich schlossen sich zur revolutionären Partei zusammen, deren Forderungen und Doktrinen am schärfsten durch Münzer ausgesprochen wurden.
Luther und Münzer repräsentieren nach ihrer Doktrin wie nach ihrem Charakter und ihrem Auftreten jeder seine Partei vollständig. […]
Wir werden sehen, wie treu der Charakter und das Auftreten der beiden Parteichefs die Haltung ihrer Parteien selbst widerspiegeln; wie die Unentschiedenheit, die Furcht vor der ernsthaft werdenden Bewegung selbst, die feige Fürstendienerei Luthers ganz der zaudernden, zweideutigen Politik der Bürgerschaft entsprach und wie die revolutionäre Energie und Entschlossenheit Münzers in der entwickeltsten Fraktion der Plebejer und Bauern sich reproduzieren.
Der Unterschied ist nur, daß, während Luther sich begnügte, die Vorstellungen und Wünsche der Majorität seiner Klasse auszusprechen und sich damit eine höchst wohlfeile Popularität bei ihr zu erwerben, Münzer im Gegenteil weit über die unmittelbaren Vorstellungen und Ansprüche der Plebejer und Bauern hinausging und sich aus der Elite der vorgefundenen revolutionären Elemente erst eine Partei bildete, die übrigens, soweit sie auf der Höhe seiner Ideen stand und seine Energie teilte, immer nur eine kleine Minorität der insurgierten Masse blieb.
in: „Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg“ – geschrieben im Sommer 1850, zuerst in: „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue“, Fünftes und Sechstes Heft, Mai bis Oktober 1850, von Friedrich Engels zuletzt bearbeitet 1875.
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Thema: Bauernkriege
Quelle(n): Der deutsche Bauernkrieg, Neue Rheinische Zeitung
(02. 05. 1500)