Der Staat mit einer Pyramide verglichen

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9. Mai 1773

Ein Staat läßt sich am besten mit einer Pyramide vergleichen, die alsdenn schön ist, wenn sie ihr gehöriges Verhältnis hat, unten auf einem guten Grunde ruht und nach der Spitze zu immer dergestalt abnimmt, daß das Unterste das Oberste völlig, aber auch mit der mindesten Beschwerde trägt. Um solches recht deutlich zu machen, wollen wir jetzt miteinander betrachten: erstlich die Spitze, hernach die Mitte und zuletzt den Grund.

Die Spitze ist besonders fehlerhaft, wenn sie oben zu dicke ist; oder um sogleich die Anwendung hiervon zu machen, wenn die landesherrliche Familie sich zu sehr vermehrt, wenn alle Prinzen heiraten und alle Prinzessinnen Aussteuern erfordern und solchergestalt die Bevölkerung oben stärker geht als unten. Sie ist fehlerhaft, wenn sich alle Kräfte nach dem Kopfe ziehen und den untern Teil machtlos lassen; sie ist endlich fehlerhaft, wenn der Kopf zittert und die Kräfte, die sich hinaufziehen sollten, in der Mitte stocken.

Nach diesem Grundsatze sollte man meinen, daß ein geistlicher Staat, dessen Fürst nicht heiraten darf, allemal der beste sein müßte, weil hier der Kopf durch keine Aussteuern, Witwensitze und Apanagen zu sehr vergrößert werden kann. Allein, da leider dergleichen Köpfe sehr oft mit gefährlichen Kröpfen heimgesuchet werden, die sich bisweilen so sehr ausdehnen, daß sie die ganze Pyramide durch ihre Schwere umstürzen: so läßt sich solches nicht mit Gewißheit behaupten.

Wir wollen uns also nun zur Mitte wenden. Nach dem stärksten pyramidalischen Verhältnis folgt auf eins zwei, und so bekömmt der Schaft eine Unförmlichkeit, wenn oben dieses Verhältnis überschritten wird und die hohe Dienerschaft sich oben am Halskragen zu sehr vermehret; der Schaft bekömmt einen Bauch, wenn zu viel neue Edelleute gemacht werden oder der unbegüterte Adel sich zu stark in die Bedienungen dringt, darauf heiratet und eine Menge Kinder zeugt, die niemals wieder zum Pfluge zurückkehren, sondern, wo sie nicht totgeschossen werden, lauter Auswüchse werden, die von der Wurzel leben, ohne dem Stamme wiederum einigen Saft mitzuteilen; sie bekömmt zuletzt unten. einen Bruch, und leider ist dieses jetzt das allgemeine Staats-übel, wenn der Wehrstand, er sei nun vom Leder oder von der Feder, besonders wo demselben das Heiraten erlaubt wird, mit Weibern und Kindern den Nährstand überwiegt und eine Menge kleiner und mittelmäßiger Bediente sich wie das Ungeziefer anhangen.

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